Orthodoxe Kirche Hl. Maria von Ägypten in Tübingen

Berliner Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates





15. Sonntag nach Pfingsten

Matth. 22, 35-46

Im Zentrum unserer heutigen Predigt soll die Antwort stehen, die unser Herr dem Gesetzeslehrer gab. Dieser fragte ihn, welches das größte Gebot sei und Christus sagte: „Du sollst den Herrn Deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das größte und erste Gebot. Das zweite ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Letzten Sonntag haben wir das Gleichnis vom Hochzeitsmahl gehört. Darin ist gleich am Anfang die Rede von Menschen des Hauses Israel, denen ihr Acker und ihr Geschäft wichtiger waren, als die Einladung des Königs, am Hochzeitsmahl, also der seligen messianischen Zeit, teilzunehmen. Weil niemand von ihnen kommen wollte, lud Gott Heiden und Sünder ein; allerdings war da einer, der sich in den Festsaal ohne Hochzeitsgewand, also ohne Früchte des Heiligen Geistes, geschlichen hatte. Von ersteren wie von dem letzteren kann man mit Fug und Recht sagen: Sie haben keine Liebe zu Gott gehabt. Ihr Herz, ihr Denken und Fühlen richtete sich einzig auf das Irdische. Mit „Irdischem“ ist nicht bloß das Trachten nach materiellen Dingen gemeint, sondern, wie die Kirchenväter sagen, auch die Befriedigung von Leidenschaften und Begierden.

Dieser Mangel an Liebe zu Gott begann bereits bei Eva und Adam, denn sie maßten sich an, indem sie der Schlange Gehör schenkten, „wie Gott sein“ zu wollen (Gen. 3,5). Diese Lieblosigkeit setzte sich bei ihrem Sohn Kain fort, der der Leidenschaft des Zorns nachgab. Er erschlug seinen Bruder Abel, weil dessen Opfer Gott wohlgefälliger war. Das Alte Testament ist voll von solchen Gestalten, selbst die Sintflut bewirkte keine Besserung; nur wenige richteten ihr ganzes Denken, Fühlen und Handeln auf Gott aus, wie beispielsweise Mose und die Propheten. Schrecklichster Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte, glaube ich, ist der Kuß des Judas, mit dem er den Sohn Gottes der Missgunst der Hohenpriester und dem sicheren Tod auslieferte.

Aus diesen wenigen Beispielen können wir folgendes lernen: Wer Gott nicht mit seinem ganzen Wesen, also mit seinem Herzen, Denken und Fühlen liebt und deshalb seinen Geboten gehorcht, kann auch seinen Mitmenschen nicht, so wie es Gott gefällt, lieben, er wird ihm früher oder später wegen seiner Selbstliebe auf irgendeine Weise Schaden zufügen, Schaden, der bis zur physischen Vernichtung des Mitbruders führen kann. Dies ist auch in unserer sog. „aufgeklärten Zeit“ nicht anders, man schaue nur in die Familien, in Betriebe, in die Politik, in das universitäre Leben, sogar in der Kirche – es ist erschreckend, wie Menschen von Menschen gemobbt, verleumdet, betrogen, bestohlen und unterdrückt werden.

Aus diesem Grunde ist es so ungeheuer wichtig, dass wir uns nicht in diesen Strudel des Verderbens mit hineinziehen lassen. Wer aufrichtig an Gott glaubt und sich bemüht, seine Gebote zu halten, kann den Weg gehen, den Paulus am Anfang des Briefes an die Römer beschreibt; es ist der Weg, den er selbst gegangen ist, um zu der Liebe Gottes zu kommen: „[…] wir wissen, dass die Drangsal Geduld bewirkt, die Geduld Bewährung, die Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden, weil die Liebe Gottes in unsern Herzen ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, der uns geschenkt wurde.“ (Röm. 5, 3-5)

Paulus schrieb diesen Brief an die römische Gemeinde in einer schweren Zeit der Bedrängnis, um sie zu trösten. Es war die Zeit, als Nero Kaiser war und die Christen im römischen Reich immer mehr in Verruf gerieten, weil sie sich widersetzten, den Kaiser als Gott zu verehren. Paulus selbst hatte ein sehr schweres Leben – wie oft wurde er verfolgt, sogar gesteinigt und befand sich in höchster Lebensgefahr. Er wusste also aus eigener Erfahrung, wie steinig der Pfad ist, der zur Liebe führt: Drangsal – Geduld – Hoffnung – Liebe. Diese Liebe können wir nicht in uns selbst erzeugen, sie ist, wie auch Paulus sagt, eine Geschenk des Heiligen Geistes an den bewährten Kämpfer, und zwar die höchste, Gabe, die alles übersteigt. Sie ist größer als die Gabe der Prophetie, höher als alle Erkenntnis, besser als Glaube, der Berge versetzen kann, sie steht über jeder Askese und Selbstkasteiung. (1. Kor. 13, 1 ff)

Wer auf diesem Weg geht, möchte immer mehr von Gott erfahren, er empfindet eine stärker und stärker werdende Sehnsucht nach Erkenntnis. Dabei wird für ihn das sichtbare immer uninteressanter, die Ränkespiele und Boshaftigkeiten der Menschen sieht er mit Bedauern, aber sie interessieren ihn nicht mehr. In ein solches Herz senkt der Heilige Geist allumfassende Liebe. Seine Mitmenschen werden ihm zu Brüdern und Schwestern und er sieht ihre Not, weil sie sich in ihren Leidenschaften verstrickt haben und er empfindet Mitleid mit ihnen, er ist barmherzig und möchte ihnen helfen. Er hat das hochzeitliche Gewand an, gewebt aus „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit“ (Gal. 5,22f.). Ein solcher Mensch war der Gottessohn selbst, der noch seinen Verräter Judas mit „Freund“ begrüßte und unter Todesqualen am Kreuz für seine Henker betet: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk. 23, 34)

Wer so das erste Gebot erfüllt – deshalb steht es ja auch aus gutem Grund an erster Stelle – kann auch das zweite richtig erfüllen, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, denn sein Herz ist ohne Selbstliebe.

9.09.2007
Priester Paul Sohnle

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