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Hl. Maria von ÄgyptenDAS LEBEN UNSERER EHRWÜRDIGEN MUTTER MARIA VON ÄGYPTEN
Es war ein Greis in einem der Klöster Palästinas, geschmückt durch tugendhaften Lebenswandel
und die Weisheit seiner Worte, von frühester Kindheit an in den frommen Werken des Klosterlebens
sehr geübt. Des Greises Name war Zosimas (nicht zu verwechseln mit dem Häretiker Zosimas, von dem
später gesprochen werden wird und welcher von üblem Rufe und fern von der Kirche war, während
jener orthodox und gerecht war), der sämtliche Stufen des enthaltsamen Lebens erstiegen hatte
und alle von den vollkommenen Asketen gegebenen Regeln bewahrte; all dieses beobachtend ließ
er niemals von der Befolgung der göttlichen Worte ab; wenn er sich niederlegte und aufstand,
wenn er arbeitete und aß, falls man dies überhaupt essen nennen kann, lag er nur einem ob, zu
singen und sich zu belehren durch das Wort Gottes. In früher Jugend trat er in das Kloster ein
und wirkte in demselben bis zum 53. Lebensjahre, in guten Werken sich übend. Nachher wurde er
versucht durch den Gedanken, als ob er bereits in allem vollkommen sei und anderer Unterweisungen
nicht bedürfe, indem er im Gemüte sprach: Ob es wohl auf Erden einen Mönch gibt, der mir förderlich
sein, der mir eine Art der Askese zeigen könnte, die ich noch nicht geübt habe? Ob sich in der
Wüste ein Mensch findet, der meine Taten übertrifft?
Indem der Greis also dachte, erschien ihm ein Engel und sprach: O
Zosimas, du hast so gut, wie es für einen Menschen möglich ist,
gekämpft, die strenge Laufbahn der Askese durchschritten, aber es
gibt niemand unter den Menschen, der sich als vollkommen erwiesen hätte:
es gibt eine Tugend von Gott, die du in der Vergangenheit noch nicht kennen
gelernt hast, jetzt aber, damit du mögest kennen lernen, wie viele
andere Wege zum Heile es gibt, so ziehe aus von deinem Lande, wie jener
berühmte Patriarch Abraham und gehe zu dem Kloster, welches am Jordanflusse
steht. Sogleich ging der Greis, folgend der Stimme, aus dem Kloster, in
welchem er von Jugend auf Mönch gewesen war und gelangte, unterwiesen
von dem, der ihn berufen hatte, zu dem Kloster, welches Gott ihm bestimmt
hatte.
Mit der Hand die Tür des Klosters aufstoßend traf er einen Mönch, der die Tür bewachte,
und erzählte ihm zuerst von sich. Der aber meldete es dem Igumenos, der ihn aufnahm und - aus
der von ihm gemachten Metanie und dem Gebet erkennend, daß es ein Mönch sei - ihn fragte, -
woher bist du, Bruder, und weshalb bist du zu uns armen Mönchen gekommen?
Zosimas aber antwortete: woher ich gekommen bin, ist nicht nötig
zu sagen, ich bin aber gekommen, um Nützliches zu erreichen, denn
ich habe Großes und Ruhmreiches von euch gehört, welches die
Seele Gott zueignen kann. Da antwortete ihm der Igumenos: Gott allein,
o Bruder, ist es, der die Schwachheit der Seele heilt, der dich und uns
seinen göttlichen Willen lehren und in allem Nützlichen unterweisen
möge; ein Mensch kann aber dem anderen nicht von Nutzen sein, wenn
jeder nicht immer auf sich selbst achtet und nicht, wachend im Geiste,
Nützliches tut, indem er Gott als Mitwirkenden hat. Wenn aber die
Liebe Christi dich bewog, uns, elende Mönche, zu sehen, so bleibe
hier bei uns, falls du deshalb gekommen bist: uns alle wird nähren
durch die Gnade des Heiligen Geistes der gute Hirt, der seine Seele zur
Erlösung für uns gegeben hat.
Nachdem der Igumenos dies zu Zosimas gesagt hatte, verbeugte dieser
sich und sagte nach Empfang des Gebetes und des Segens: Amen, und blieb
im Kloster.
Dort sah er die Mönche, sie strahlten durch Erfüllung guter Werke, an Gott denkend und
im Herzen brennend und für Gott arbeitend: Ihr Gesang war unaufhörlich, ihr Stehen die ganze
Nacht hindurch, in ihren Händen waren immer Taten, in ihrem Munde immer Psalmen; keine
unnützen Worte waren in ihnen, keine Gedanken an Erwerb zeitlicher Güter und keine weltliche
Trübsal, die nicht einmal dem Namen nach bekannt war; nur ein Einziges war das Erste und
Letzte: nach Möglichkeit zu sorgen, daß sie körperlich wie Tote sein möchten. Als
unentbehrliche Speise hatten sie die Werke Gottes: sie sättigten sich aber den Leib mit Brot und
Wasser, jeder nach seinem Verhältnis zur Liebe Gottes. Als Zosimas dies sah, benutzte er es
sehr, indem er in sich die dargestellte Tugend verwirklichte. Nachdem genügend Zeit verflossen
war, nahte die Zeit der heiligen großen Fasten, während deren die Türen des Klosters immer
geschlossen waren und nur geöffnet wurden, wenn jemand zu allgemeinem Bedarf hinausgesandt
wurde: denn die Gegend war öde, und es kamen andere nicht dorthin. Ja, sie war den Laien nicht
einmal bekannt. Es war aber in dem Kloster solche Sitte oder Ordnung, wegen deren Gott den
Zosimas dorthin geführt hatte:
Am ersten Sonntag der Großen Fastenzeit, nachdem der Priester
die heilige Liturgie gehalten und alle die heilige Kommunion empfangen
hatten und darauf ein wenig von der Fasten-Trapeza gekostet hatten, versammelten
sie sich wieder in der Kirche, beteten inbrünstig, die Knie beugend,
und es küssten die Mönche einander und den Igumenos, ihn um
Segen und Gebete bittend für die bevorstehenden Tugendübungen
der Großen Fasten. Nachdem dies geschehen, wurd die Klostertür
geöffnet und unter dem Gesange der Worte des Psalmes 26, „Der Herr
ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der
ist meines Lebens Wehr, vor wem sollte mir grauen?“ - usf. - zogen sie
hinaus in die Wüste, indem nur ein oder zwei Brüder zur Bewachung
des Klosters zurückgelassen wurden, nicht, um die im Innern befindlichen
Güter zu bewachen (weil dort nichts war, was von Dieben gestohlen
werden könnte), sondern nur, damit die Kirche nicht ohne Gottesdienst
bleiben möchte; sie gingen über den Fluß Jordan, indem
jeder bei sich Nahrungsmittel nach seinem Bedarf und Wunsch trug, der
eine ein wenig Brot, der andere Datteln, der dritte Feigen, der vierte
in Wasser gequollene Hülsenfrüchte. Einige aber nichts, als
etwas alte Bekleidung, um ihren Körper zu bedecken. Diese nährten
sich nach Bedarf mit Kraut, welches in der Wüste wuchs. Nach Überschreiten
des Jordans auf diese Weise trennten sie sich voneinander und keiner wußte,
wie der andere kämpfte oder fastete. Wenn es einmal geschah, daß
jemand seinem Freunde begegnete, so lenkte er ab auf die andere Seite
und blieb allein vor Gott. Und so, wenig Nahrung zu sich nehmend, vollendeten
sie die Fastenzeit und kehrten am Palmsonntag alle in das Kloster zurück,
um mit Palmzweigen die Vorfeier des nahenden großen Pascha-Festes
zu begehen. Alle kamen zurück, indem sie ihr Gewissen als Zeugen
ihrer gottgefälligen Kämpfe hatten und niemand durfte den anderen
fragen, wie und in welchen guten Werken er sich geübt habe. Dies
war die Ordnung des Klosters.
Dieser Ordnung folgend überschritt auch Zosimas den Jordan, wenig
an Speise habend und das Gewand, welches er anhatte; die Gebete, die vorgeschrieben
waren, vollzog er, indem er durch die Wüste wanderte, wenig essend
und schlafend, indem er in der Nacht sich auf die Erde manchmal sitzend,
wo die Nacht ihn ereilt hatte, sehr früh aber hatte er, wieder aufwachend,
seinen Lauf fortzusetzen. Endlich beschloß er, in das Innere der
Wüste sich zu begeben, in der Hoffnung, dort einen der Mönche
zu treffen, der ihm als Vorbild dienen könnte.
Nachdem er 20 (anderen zufolge 8) Tage gegangen war, stellte er sich
ein wenig abseits, wendete sich gegen Osten und sang die 6. Hora indem
er die gebräuchlichen Gebete sagte; denn er machte bei jeder Hora
eine kleine Unterbrechung in seiner Wanderschaft für den Gesang und
die Metanien. Als er einmal stand und sang, bemerkte er rechts einen Schatten,
wie eines menschlichen Körpers. Zuerst erschrak er sehr, weil er
dachte, es sei ein teuflisches Gespenst und zitterte. Er machte aber das
Zeichen des Kreuzes, vergaß seinen Schrecken, wandte seine Augen
nach Beendigung des Gebetes gen Süden, und sah jemand gehen, der
nackt und von der Sonne schwarz gebrannt war, dessen Haare aber weiß
wie Wogenschaum waren und bis zum Halse reichten. Als Zosimas das sah,
ging er in die Richtung, wo er das gesehen. und freute sich sehr, weil
er diese Tage keine menschliche, nicht einmal eine tierische Gestalt gesehen
hatte. Als aber die Erscheinung den Zosimas von weitem kommen sah, begann
sie in das Innere der Wüste zu eilen; Zosimas aber, indem er sein
Alter und die Mühe des Weges vergaß, lief schnell, in dem Wunsche,
das zu erreichen. Dieses aber lief immer; der Lauf des Zosimas war aber
schneller als der des Davoneilenden. Als er schon so nahe war, daß
er die Stimme hören konnte, begann Zosimas weinend zu schreien und
sagte: Warum läufst du vor mir sündigem Greise fort, o Knecht
des wahren Gottes, in dessen Namen du in dieser Wüste lebst? Warte
auf mich Unwürdigen und Schwachen! Warte in der Hoffnung auf Belohnung
für deine Tugenden. Steh still und gib mir, dem Greise, dein Gebet
und deinen Segen um Gottes willen, der niemand verachtet. Indem Zosimas
dies unter Tränen redete, kam es ihm vor, als sei er schon ganz nahe
gekommen, wo ein ausgetrockneter Bach zu sein schien. Als er aber zu der
Stelle kam, ging das laufende Wesen auf die andere Seite. Zosimas war
müde und konnte nicht mehr laufen und blieb diesseits des Baches
stehen, fügte Tränen zu seinen Tränen und Schreie zu seinen
Schreien, sodaß nichts mehr zu hören war als sein Heulen. Darauf
hauchte die Stimme: Abba Zosimas, verzeihe mir um Gottes Willen, daß
ich mich nicht zu dir wenden und mich von dir sehen lassen kann: ich bin
ein Weib und, wie du siehst, nackt und die Scham meines Körpers habe
ich unbedeckt. Wenn du aber willst mir sündigem Weibe dein Gebet
und deinen Segen geben, so wirf mir etwas von deinen Kleidern zu, damit
ich meine Blöße bedecken und zu dir gewendet dein Gebet und
deinen Segen empfangen kann. Da erfaßte Zosimas Furcht und Zittern,
indem er sich bei Namen nennen hörte, obwohl sie ihn niemals gesehen
und von ihm niemals gehört hatte. Und er sprach bei sich: Wenn diese
nicht voraussehend wäre, könnte sie mich nicht bei Namen nennen.
Und alsbald tat er, was sie ihm gesagt, nahm von sich das alte und zerrissene
Kleid, welches er getragen und warf es ihr zu, indem er sein Gesicht abwandte.
Sie aber nahm es und bedeckte den Teil ihres Körpers, welchen mehr
als alle andern zu bedecken nötig war, gürtete sich und sprach
zu Zosimas gewendet: Warum gefällt es dir, Abba Zosimas, eine sündige
Frau zu sehen? Verlangst du etwa von mir etwas zu hören oder belehrt
zu werden, daß du nicht gescheut hast, solche Mühe auf dich
zu nehmen? Er aber, auf die Erde sich hinstreckend, bat um ihren Segen;
ebenso streckte auch sie sich nieder und beide lagen auf der Erde, einander
um den Segen bittend, sodaß nichts von beiden zu hören war,
als nur das Wort: Segne! Nach einer langen Zeit sagte die Frau zu Zosimas:
Abba Zosimas, dir gebührt es, zu segnen und Gebete zu vollziehen,
denn du bist mit der Würde eines Presbyters geehrt und seit mehreren
Jahren bringst du vor dem heiligen Altar stehend die göttlichen Gaben
dem Herrn dar. Diese Worte versetzten den Zosimas in noch größere
Angst und von dieser ergriffen sprach er weinend und seufzend, mit schwerem,
stockendem Atem zu ihr: O geistliche Mutter, du hast dich Gott genaht
und dich abgetötet, was die in dir mehr als in anderen befindliche
von Gott geschenkte Gabe beweist, daß du mich bei Namen und Presbyter
nanntest, mich, den du niemals zuvor gesehen; deswegen segne lieber selbst,
um des Herrn willen, und gib das Gebet dem, der es von deiner Vollkommenheit
fordert. Nachgebend der inständigen Bitte sprach sie: Gesegnet ist
Gott, der da will, daß die menschlichen Seelen gerettet werden. Nachdem
Zosimas AMEN gesagt hatte, standen beide von der Erde auf. Sie sagte zu
ihm: Weshalb bist du zu mir Sünderin gekommen, o Mensch Gottes? Weshalb
wünschtest du eine Frau, nackt und keine Tugend besitzend, zu sehen?
Aber die Gnade des Heiligen Geistes hat dich unterwiesen, damit du könntest
einen Dienst erweisen meinem Leibe zur nötigen Zeit. Sage mir, Vater,
wie leben jetzt die Christen, die Könige und heiligen Kirchen? Zosimas
antwortete: die Christen, die Könige und heiligen Kirchen haben durch
eure heiligen Gebete von Gott starken Frieden erhalten; doch nimm an das
Flehen eines Unwürdigen und bete um des Herrn willen für die
ganze Welt und für mich Sünder, damit nicht vergeblich werde
diese meine Wanderung durch die Wüste. Sie sagte zu ihm: Dir gebührt
mehr, Vater Zosimas, der du das heilige Amt hast, für mich und für
alle zu beten; hierzu bist du eingesetzt. Aber weil wir immer Gehorsam
erweisen müssen, so tue ich das von Dir Befohlene. Dies sagend, begann
sie still zu beten, sich gen Osten wendend und Augen und Hände emporhebend,
so daß keine Worte zu hören waren und Zosimas nichts vernahm,
sondern, wie er gesagt, mit Ehrfurcht zur Erde sehend, dastand und sich
nicht rührte. Er erzählte, Gott als Zeugen anrufend, daß,
als er während ihres Gebetes ein wenig seine zur Erde blickenden
Augen erhoben hatte, er gesehen habe, wie sie beim Gebet eine halbe Armlänge
sich vom Erdboden erhoben und in der Luft stehend gebetet habe. Dies aber
sehend, warf sich Zosimas von größter Angst ergriffen zur Erde
nieder, weinend und nichts sprechend, als: Herr, erbarme dich!
Indem er auf der Erde lag, war er beunruhigt, durch den Gedanken,
ob es nicht ein Gespenst oder ein Geist sei, der nur scheinbar bete. Sie
aber wandte sich, hob ihn auf und sagte: Warum, Vater Zosimas, beunruhigen
dich solche Gedanken über ein Gespenst, als sei ich ein Geist und
heuchle ein Gebet. Ach, ich bitte dich, seliger Vater, wisse, daß
ich eine Sünderin bin, aber durch die heilige Taufe umschirmt und
nicht ein gespenstischer Geist, sondern Erde, Staub und Asche und jedenfalls
Fleisch, welches niemals etwas Geistliches gedacht. Und dies sagend, bezeichnete
sie mit dem Kreuzeszeichen ihre Stirn, Augen, Mund und Brust, und sprach:
Vater Zosimas, möge Gott uns vom Teufel und seinen Netzen erlösen:
denn groß ist sein Kampf gegen uns! Dies sehend und hörend sprach
Zosimas zu ihren Füßen niederfallend unter Tränen: Ich
beschwöre dich im Namen unseres Herrn Jesu Christi, des wahren Gottes,
geboren von der Jungfrau, um dessentwillen du diese Nacktheit trägst,
um dessentwillen du dein Fleisch so abgetötet hast, verhehle nicht
vor mir dein Leben, sondern sage mir alles, damit du die Großtaten
Gottes offenbaren möchtest. Sage mir um Gottes willen alles, nicht
des Lobes wegen, sondern um mir Sünder Kunde zu geben über dich.
Denn ich glaube, daß ich von meinem Gott, den du lobst, deswegen
in die Wüste geführt worden bin, damit Gott alles das Deinige
offenbar mache; denn es ist keine Kraft in uns, der Vorsehung Gottes zu
widerstehen. Wenn es nicht Christuis gefallen hätte, daß du
und deine Tugenden bekannt würden, hätte er dich mir nicht gezeigt
und mich nicht zu solchem Wege gestärkt, der ich niemals meine Zelle
verlassen konnte noch wollte.
Nachdem Zosimas dies und mehreres anderes gesagt hatte, hob sie ihn
auf und sagte zu ihm: Ich schäme mich, Vater, verzeihe mir, daß
ich dir die Schande meiner Taten sage, aber wenn du meinen Leib schon
nackt gesehen hast, so entblöße ich dir auch meine Taten, damit
du wissest, von welcher Scham und Schande meine Seele erfüllt ist.
Nicht meines Lobens willen, wie du mir selbst gesagt, werde ich dir über
mich bekennen. Denn womit soll ich mich loben, die ich einst ein auserwähltes
Gefäß des Teufels war? Wenn ich die Erzählung von mir anfange,
wirst du laufen von mir, wie jemand vor einer Schlange fortläuft,
nicht ertragend, mit den Ohren zu hören das Unstatthafte, was ich,
Unwürdige, getan. Ich werde sprechen, ohne etwas zu verschweigen,
aber ich bitte dich zuerst, daß du nicht aufhören mögest
für mich zu bitten, damit ich Gnade finde am letzten Tage. Indem
der Mönch ihr Leben wissen wollte und unaufhörlich weinte, begann
sie folgendes über sich zu erzählen:
Ich, o Vater, bin geboren in Ägypten. Als ich zwölf Jahre alt war und meine Eltern noch
lebten, habe ich mich getrennt von ihrer Liebe und bin nach Alexandrien gegangen und wie ich
zuerst meine Jungfräulichkeit verlor und anfing zügellosem und unersättlichem Liebesgenuß
mich hinzugeben, schäme ich mich nicht nur auszusprechen, sondern zu denken. Deswegen sage
ich lieber das Notwendigste, damit du die Zügellosigkeit meines Fleisches erkennst.
Siebzehn Jahre und mehr bin ich eine Volksbuhlerin gewesen, nicht
um Geschenke oder Lohn, den ich von den mir Spendenden nicht annehmen
wollte. Dieses erdachte ich, damit ich erwerben möchte mehrere umsonst
zu mir Kommende und befriedigen möchte meine fleischliche Begierde.
Denke nicht von mir, daß ich reich war und nicht nackt: ich lebte
in Armut und habe oftmals hungrig groben Flachs gesponnen und unersättliche
Brunst gehabt, immer im Schilf der Buhlerei mich zu wälzen. Denn
ich dachte, daß das Leben darin bestehe, immer zu machen die Schändlichkeiten
der Natur. So lebend sah ich in einer Erntezeit viele Männer aus
Lybien und Ägypten, die zum Meere gingen und fragte einen, der zu
mir gekommen war, wohin gehen diese Männer so eifrig? Er aber antwortete
mir: nach Jerusalem, wegen der Erhöhung des ehrwürdigen und
lebendigmachenden Kreuzes, welche in einigen Tagen gefeiert wird. Und
ich sprach zu ihm: werden jene auch mich mitnehmen, wenn ich mit ihnen
fahren will? Er aber sagte: Wenn du den Fahrpreis und das Essen hast,
so wird es dir keiner verbieten. Da sagte ich ihm: Bruder, ich habe weder
Fahrgeld noch Essen. Ich gebe ihnen meinen Leib dafür. Deswegen wollte
ich mit ihnen gehen, Vater, verzeihe mir, um mehrere Pfleger meiner Leidenschaften
zu haben. Ich habe dir, Vater Zosimas, gesagt, zwinge mich nicht meine
Schande auszusprechen. Denn Gott weiß, ich habe Angst, daß ich
selbst die Luft durch mein Wort verunreinige.
Zosimas, die Erde mit seinen Tränen sättigend, antwortete ihr: Sprich, um Gottes willen, o
meine Mutter, und höre nicht auf mit dieser mir nützlichen Erzählung.
Da fügte sie zu dem ersten noch folgendes hinzu: nachdem dieser
Jüngling meine schamlosen Worte gehört hatte, ging er lächelnd
fort. Ich aber, die Spindel fortwerfend, die ich bei mir trug, eilte zum
Meer, wo ich die Kommenden gesehen hatte, und bemerkte einige an der See
Stehende, etwa zehn oder mehr junge Männer, die meiner Begierde gefielen.
Einige waren schon früher in das Schiff gekommen, und ich, meiner
Gewohnheit gemäß, hüpfte schamlos zu ihnen hin und sprach:
nehmet auch mich mit, wohin ihr geht. Ich werde euch nicht ungefällig
sein. Und einige andere unsaubere Worte sprechend bewegte ich alle zum
Lachen. Und sie, meine Schamlosigkeit sehend, nahmen mich in ihr Schiff
auf und wir fingen von dort aus unsere Fahrt an. Und wie es damals war,
wie kann ich dir das bekennen, o Mensch Gottes? Welche Zunge kann sagen
oder welches Ohr kann hören meine unterwegs im Schiff geschehenen
bösen Taten? Wie ich Unglückselige auch die Widerstrebenden
zur Sünde beredete? Es gibt keine Art von Unsittlichkeit, nennbarer
und unnennbarer, in der ich damals nicht Meisterin war. Glaube mir, ich
bin erstaunt, wie das Meer meine Unzucht zu tragen vermochte. Ich begreife
nicht, daß die Erde nicht ihren Rachen öffnete, um mich lebendig
in den Hades zu versenken. Mich, die ich so viele Seelen für den
Tod gefangen habe: Ich denke aber, daß Gott, meine Bekehrung suchend,
nicht wollte, daß der Sünder sterbe, sondern mit großem
Verlangen meiner Bekehrung harrte. Auf diese Weise und mit großem
Eifer kam ich nach Jerusalem und einige Tage vor dem Feste dort weilend
tat ich den ersten gleiche Werke, sogar noch schlimmere, mich mit den
Jünglingen, welche mit mir im Schiffe gefahren waren, nicht begnügend,
lud ich zu der Sünde auch viele andere Einwohner und Pilger ein.
Als aber das Fest der Heiligen Kreuzeserhöhung begann, ging ich,
wie früher, umher, um die Seelen der Jünglinge zu fangen. Sehr
früh aber sah ich alle gemeinsam in die Kirche gehen; da ging auch
ich mit ihnen und kam mit ihnen in die Vorhalle der Kirche, und als der
Augenblick der Erhöhung des Kreuzes kam, suchte ich auch mit dem
Volke in die Kirche einzudringen, wurde aber immer wieder verdrängt
und zurückgestoßen. Unter Gedränge und mit großer
Mühe nahte ich, Unglückselige, mich auch der Tür der Kirche;
als ich aber die Schwelle der Tür betrat, gingen alle übrigen
ohne Widerstand in die Kirche, mir aber wehrte eine göttliche Macht
einzutreten; und wieder es versuchend ward ich wieder zurückgestoßen
in die Vorhalle, allein zurückgedrängt. Dort aber stehend dachte
ich mir, daß das alles wegen meiner weiblichen Schwäche mit
mir geschehe. Mich wieder mit den übrigen vereinigend versuchte ich
einzutreten, aber immer vergeblich; sobald mein sündiger Fuß
die Schwelle berührte, nahm die Kirche, welche anderen nicht wehrte,
mich allein nicht auf. Als ob eine Schar von Kriegern sich versammelt
hätte, um mir den Eintritt zu wehren, so stieß mich eine unbekannte
plötzliche Kraft immer wieder zurück, und wieder befand ich
mich in der Vorhalle. Dieses drei- bis viermal erduldend, mich mühend
und nichts erreichend, ermüdete ich und konnte mich deshalb nicht
mehr den Eintretenden anschließen. Hierbei ward auch mein Körper
sehr ermüdet. Mit großer Beschämung und hoffnungslos trat
ich zurück und stellte mich in einen Winkel der Vorhalle. Als ich
mich ein wenig erholt hatte, fragte ich mich, welche mir anhaftende Schuld
mir den Zutritt zu dem lebendigmachenden Kreuze wehrte. Endlich traf die
Augen meines Herzens das Licht der erlösenden Wahrheit. Gottes herrliches
Gebot, die Augen der Seele erleuchtend, mir zeigend, daß der Sumpf
meiner Taten mir den Eintritt in die Kirche wehre. Da begann ich zu weinen
und zu schluchzen und michan die Brust zu schlagen, seufzend aus der Tiefe
meines Herzens.
So weinend auf der Stelle wo ich stand, bemerkte ich vor mir oben
an der Wand ein Bild der heiligen Gottesmutter und sprach zu ihr, meine
Augen nicht abwendend und sie im Geiste vor mir sehend: O Jungfrau, Gebieterin,
die Du Gott das Wort, im Fleische geboren hast! Ich weiß wahrhaftig,
daß es Dir nicht angenehm noch lobwürdig ist, daß ich,
unreine und schlechte Buhlerin, Dein heiliges Bild betrachte, Dich, allheilige
Immerjungfrau Maria, die Du Körper und Seele rein und unbefleckt
hast! So geziemt es sich auch mir, der Buhlerin, verhaßt und verächtlich
zu sein Deiner jungfräulichen Reinheit. Aber da ich hörte, daß
der Gott, den Du geboren hast, deshalb Mensch geworden ist, um die Sünder
zur Buße zu rufen, so hilf mir, der Alleinstehenden, die ich keine
Hilfe habe! Befiehl, daß auch mir der Zutritt zur Kirche unverwehrt
sei und beraube mich nicht des Anblicks des ehrwürdigen Baumes, an
welchem der Körper des von Dir geborenen Gottes geheftet ward, der
sein Blut für meine Erlösung gab. Befiehl, o Gebieterin, daß
auch für mich die Tür sich öffne zur Anbetung des göttlichen
Kreuzes und sei mir sicherste Bürgin bei dem von Dir Geborenen, denn
von jetzt an will ich meinen Körper durch keine Art unreiner Unzucht
mehr beflecken; sondern, wenn ich das heilige Kreuzesholz Deines Sohnes
sehe, entsage ich der Welt und allem, was in der Welt ist, und gehe hinaus,
wohin Du als Bürgin meines Heiles mir zeigst. Dies sagend, und als
ob ich eine Verheißung empfangen hätte, entflammt im Glauben
und befestigt in der Hoffnung auf die Barmherzigkeit der Gottesgebärerin,
bewegte ich mich von der Stelle, auf der ich gebetet hatte, und schloß
mich wieder an die an, welche in die Kirche hineingingen. Niemand war
da, der mich abgewehrt oder mich an der Tür gehindert hätte
in die Kirche einzutreten. Aber Furcht ergriff mich und ich zitterte,
und nachdem ich die Tür erreicht hatte, welche bisher für mich
geschlossen war, trat ich ohne Mühe ein in das Innere der Kirche
„Aller Heiligen“ und ward gewürdigt das Holz des Allerehrwürdigsten
und Lebendigmachenden Kreuzes zu sehen und sah die Geheimnisse Gottes
und wie er bereit ist, den Büßenden anzunehmen.
Niedergestreckt zur Erde betete ich das allerehrwürdigste Kreuz
an, küßte es in Furcht und trat hinaus, um mich meiner Bürgin
zu nahen. Angekommen an der Stelle, wo das heilige Bild meiner Bürgin
war, und vor ihr kniend sprach ich: O Du ewigseligste Jungfrau, Gebieterin,
Gottesgebärerin, Du zeigst mir Deine gütige Menschenliebe an,
Du verabscheust meine unwürdigen Gebete nicht: denn ich habe gesehen
die Herrlichkeit, die in Wirklichkeit mir, der Sünderin, nicht zu
sehen gebührte. Ehre sei Gott, der um Deinetwillen die Buße
der Sünder annimmt! Was habe ich Sünderin noch mehr zu denken
oder zu sagen? Es ist schon Zeit, o Gebieterin, zu erfüllen, was
ich für Deine Bürgschaft versprochen. Nun unterweise mich, wohin
Du willst. Nun sei mir Lehrerin in dem übrigen, was zu meinem Heile
dient, mich unterweisend auf dem Wege der Buße.
Indem ich also sprach, hörte ich aus der Ferne eine Stimme, die
zu mir sprach: Wenn du über den Jordan gehst, findest du gute Ruhe.
Nachdem ich diese Stimme gehört und mich überzeugt hatte, daß
sie mir galt, rief ich unter Tränen, auf das Bild der Gottesgebärerin
blickend: Gebieterin, Gebieterin, Gottesgebärerin, verlasse mich
nicht! Nach diesem Ausrufe trat ich aus der Vorhalle der Kirche hinaus
und ging schnell. Jemand, der mich gehen sah, gab mir drei Zate mit den
Worten: Nimm dies an, Mutter, - ich nahm das Geld an und kaufte dafür
drei Brote und fragte bei dem Brotverkäufer nach dem Wege zum Jordan.
Nachdem ich unter Tränen durch das Stadttor gegangen war, fragte
ich Leute, die mir begegneten, nach dem weiteren Wege und wanderte den
ganzen Tag über. Es war um die dritte Stunde des Tages, als ich gewürdigt
ward, das Kreuz Christi zu sehen, und als die Sonne schon im Westen sich
zum Untergang neigte, war ich an der Kirche des Heiligen Johannes des
Täufers, welche am Jordan steht, angelangt. Nachdem ich in diesem
heiligen Wasser Arme und Gesicht gewaschen und in der Kirche gebetet hatte,
ging ich und empfing die heiligen und lebendigmachenden Geheimnisse Christi.
Darauf aß ich die Hälfte von einem der Brote, trank Wasser aus
dem Jordan und schlief die Nacht auf dem bloßen Boden. Am anderen
Tage früh fand ich einen kleinen Kahn, auf welchem ich nach dem anderen
Ufer des Jordans übersetzte, wo ich wieder meine Lehrerin, die Gottesgebärerin,
anflehte, mir zu zeigen, wo es ihr gefiele, daß ich bleiben sollte.
Ich kam in diese Wüste, und seit dieser Zeit entfernte ich mich eilend
und nahm Wohnung, harrend Gottes, der mich rettet aus Kleinmütigkeit
und Sturm, mich, die sich zu Ihm wendet.
Zosimas aber sagte zu ihr: Wieviele Jahre, o Gebieterin, hast du in
dieser Wüste gesiedelt? - Siebzehn Jahre zähle ich von der Zeit,
da ich von der heiligen Stadt ausging. Zosimas sagte: Und wo findest du
Nahrung, meine Gebieterin? Sie sprach: Ein Drittel des Brotes welches
ich mitbrachte beim übergang über den Jordan ist allmählich
trocken geworden und versteinert. Dieses habe ich allmählich, davon
eine Reihe von Jahren essend, jetzt aufgezehrt. Zosimas sagte: Wie bist
du eine so lange Zeit ohne Betrübnis geblieben, ohne daß eine
feindliche Verlockung dich versucht hätte? Sie antwortete: Du hast
mich gefragt, Vater Zosimas, nach Sachen, die ich fürchte zu erzählen.
Denn wenn ich mich erinnere an das viele Elend, das ich erduldet habe,
und welch böse Gedanken mich irre machen wollten, dann fürchte
ich, ich möchte wieder von ihnen erfaßt werden. Da sagte Zosimas
zu ihr: Unterlasse nichts, o meine Gebieterin, mir zu verkündigen;
ich habe dich darum gebeten, daß du mir alles ausführlich erzählst.
Sie aber sprach zu ihm: Schenke mir Glauben, Vater Zosimas. Siebzehn Jahre
habe ich in dieser Wüste mit meinen Leidenschaften wie mit wilden
Tieren gekämpft. Wenn ich anfing zu essen, so wünschte ich immer
Fleisch und Fische, wie es in Ägypten gewesen; ich wollte auch Wein
trinken, wie ich es liebte. Denn ich hatte viel Wein getrunken solange
ich in der Welt lebte. Hier aber hatte ich manchmal nicht Wasser, brannte
vor Durst und litt sehr. Ich hatte auch Lust, unzüchtige Lieder zu
singen, die mich sehr beunruhigte und drängte, die dämonischen
Lieder zu singen, die ich gewöhnt war; sofort weinend und mich an
die Brust schlagend erinnerte ich mich der Gelübde, welche ich getan
hatte beim Einzug in diese Wüste. Ich war in meinen Gedanken vor
dem Bilde der allerreinsten Gottesgebärerin, meiner Bürgin,
und vor ihr weinte ich und bat sie, fern von mir zu verscheuchen die Gedanken,
die meine unglückliche Seele versuchten. Als ich aber genug geweint
und eifrig an meine Brust geschlagen hatte, da sah ich ein Licht, welches
von allen Seiten mich umfaßte und es trat eine Ruhe ein, welche mich
von diesen Beängstigungen befreite. Die mich wieder erfassenden lüsternen
Gedanken, wie kann ich sie dir bekennen? Denn Feuer loderte auf von allen
Seiten und versuchte mich zur Sünde. Wenn aber eine solche Versuchung
an mich kam, dann warf ich mich auf die Erde und weinte, dachte an meine
mir beistehende Bürgin, die meine Übertretung richtet und drohend
auf die dafür bestimmte Qual hinweist. Und ich stand Tag und Nacht
nicht von der Erde auf, bis jenes süße Licht mir erstrahlte
und die mich beunruhigenden Gedanken verjagte. Meine Augen erhob ich zu
meiner Bürgin, unaufhörlich bittend, mir, der in der Wüste
leidenden, zu helfen, und ich hatte sie wirklich als Helferin und Mitwirkerin
zur Buße. Und diese unzählbaren Leiden habe ich siebzehn Jahre
hindurch ertragen. Von dieser Zeit bis jetzt hat meine Helferin, die Gottesgebärerin,
mich in allem zu allem geführt.
Da sagte Zosimas zu ihr: Hast du etwas an Nahrung und Bekleidung gebraucht? Sie
antwortete: Nachdem ich im Laufe dieser siebzehn Jahre meine Brote verzehrt hatte, nährte ich
mich von den in der Wüste wachsenden Kräutern, die Bekleidung, welche ich beim übergang
über den Jordan hatte, war vor Alter zerfallen, und ich duldete große Qual durch Hitze und Kälte,
im Sommer glühend und im Winter frierend, oftmals sogar wie entseelt und bewegungslos zur
Erde niederstürzend und mit vielen anderen Nöten und maßlosen Versuchungen umdrängt. Von
da an bis jetzt aber hat die mannigfaltige Macht Gottes meine sündige Seele und meinen
demütigen Leib bewahrt. Wenn ich nur daran denke, aus welchem Elend Gott mich errettet hat,
so habe ich erworben unerschöpfliche Nahrung - die Hoffnung meines Heils. Ich nähre mich und
bedecke mich mit dem Wort Gottes, der alles erhält; denn nicht allein durch Brot wird der
Mensch bekleidet 1;
insofern sie frei wurden von der Decke der Sünde haben sich die, welche
keine Decke hatten, mit Steinen bekleidet 2.
Nachdem Zosimas gehört, daß sie auch die Worte Moses, der
Propheten und die Psalmen erinnerte, sagte er zu ihr: Hast du, Gebieterin,
auch die Psalemen und andere Bücher gelernt? Dies hörend lächelte
sie und sagte zu ihm: Glaube, o Mensch, ich habe nach meinem Übergang
über den Jordan keines anderen Menschen Angesicht außer dem
deinen gesehen, nicht einmal ein wildes Tier oder ein sonstiges Vieh.
Bücher habe ich nicht gelesen und niemals lesen oder singen hören;
das lebendige und wirksame Wort Gottes aber belehrt den Verstand des Menschen.
Hier aber ist das Ende meiner Geschichte.
Jetzt nun beschwöre ich dich durch die Fleischwerdung des Wortes
Gottes, bete für mich Sünderin. Nach diesen Worten wollte der
Mönch vor ihr niederfallen und sprach mit Tränen: Gelobt sei
Gott, der Großes und Schreckliches tut, unaussprechlich Wunderbares
und Herrliches, dessen keine Zahl ist! Gelobt der Gott, der mir gezeigt
hat, was er denen gibt, die ihn fürchten. Wahrlich, du verlässest
die Suchenden nicht, o Herr. Sie aber, ihn aufhaltend, ließ ihn nicht
vollständig sich verbeugen und sagte zu ihm: All dies, o Vater, ich
beschwöre dich durch Jesum Christum den Gott unsern Heiland, sage
es niemand, bis Gott mich von der Erde nehmen wird. Jetzt aber ziehe hin
in Frieden und komme wieder, mich zu sehen, nächstes Jahr, in dem
Gottes Gnade uns behütet. Tue es um des Herrn willen, was ich dir
jetzt sage mit der Bitte: In der Fastenzeit des nächsten Jahres überschreite
nicht den Jordan, wie in den Klöstern üblich ist. Es wunderte
sich aber Zosimas, als er vernahm, daß sie auch den klösterlichen
Brauch kannte; er sagte aber nichts, als daß er Gott pries, der so
Großes gibt denen, die ihn lieben. Sie fuhr fort: Bleibe, wie ich
dir gesagt habe, Vater, im Kloster; denn wenn du auch wolltest hinausgehen,
es würde dir unmöglich sein. Am Heiligen und Großen Donnerstag,
welcher an das geheimnisvolle Abendmahl Christi erinnert, nimm etwas von
dem lebendigmachenden Leib und Blut Christi in ein heiliges Gefäß,
würdig eines solchen Geheimnisses, bringe es mit und erwarte mich
auf jener Seite des Jordans, welche nahe ist dem Dorfe, damit ich komme
und die heiligen Gaben empfangen möge. Denn von der Zeit, da ich
vor meinem Übergang über den Jordan in der Kirche des Vorläufers
das heilige Abendmahl empfangen, habe ich mich inbrünstig danach
gesehnt, habe aber bis jetzt dieses Heiligtum nicht bekommen. Jetzt aber
bitte ich dich, verachte nicht mein Flehen und bringe mir das lebendigmachende
göttliche Sakrament zu der Zeit, da der Herr seine Jünger zu
Teilnehmern seines göttlichen Abendmahles gemacht. Dem Johannes,
dem Igumenos des Klosters, in dem du wohnst, sage: Habe Acht auf dich
und deine Herde, denn dort geschieht etwas, das Besserung fordert. Aber
ich will, daß du es ihm nicht jetzt sagst, sondern wenn der Herr
es dir befiehlt. Dies sagend und Gebete für sich von Zosimas erflehend,
begab sie sich in das Innere der Wüste. Zosimas aber, sich bis zur
Erde verbeugend, küßte die Stelle, auf der ihre Füße
gestanden, Gott lobend, und kehrte zurück, lobend und preisend Christum
unseren Gott.
Durch die Wüste gehend kam er zum Kloster an dem Tage, als die
dort wohnenden Brüder zurückkehrten. Und dieses Jahr schwieg
er über alles, was er gesehen, da er niemand etwas sagen durfte,
bei sich aber Gott bittend, ihn das ersehnte Angesicht wieder sehen zu
lassen. Denn er war traurig und ungeduldig, wenn er an die Länge
des Jahres dachte und wünschte, daß dieses Jahr nicht länger
als ein Tag sein möchte, wenn es möglich sei.
Als die erste Woche der Großen Fastenzeit kam, gingen nach Sitte
und Brauch des Klosters alle anderen Brüder nach vollzogenem Gebet
mit Gesang in die Wüste. Zosimas aber war krank und sollte deswegen
im Kloster bleiben. Dabei erinnerte er sich an die Ehrwürdige, die
gesagt hatte: wenn du auch wolltest aus dem Kloster ausgehen, es würde
dir nicht möglich sein. Nach einigen Tagen genas er von seiner Krankheit
und blieb im Kloster. Nach Rückkehr der Brüder, als der Tag
des geheimnisvollen Abendmahls Christi herangekommen war, tat Zosimas,
was ihm auferlegt war: „Lege in einen Kelch von dem allerreinsten Leib
und Blut unseres Heilandes.“ Er legte auch in die Tasche etwas von getrockneten
Feigen und Datteln und in Wasser gequollenen Hülsenfrüchten,
ging spät abends hinaus und setzte sich an das Ufer des Jordans,
der Ehrwürdigen harrend. Als die Heilige zögerte, schlief Zosimas
nicht ein, sondern blickte eifrig nach der Wüste, von woher die innig
Ersehnte kommen mußte. Er sprach auch bei sich, sitzend, ob vielleicht
eine Unwürdigkeit seinerseits sie gehindert habe zu kommen, oder
ob sie etwa schon gekommen war und, da sie ihn nicht fand, zurückkehrte?
Indem er also dachte, seufzte er und weinte und die Augen zum Himmel hebend
betete er zu Gott mit den Worten: Verstoße mich nicht, o Gebieter,
damit ich wieder sehen möge das Angesicht derjenigen, die zu sehen
du mich einmal gewürdigt hast; damit ich nicht leer fortgehe, tragend
meine Sünde, mir zum Vorwurf. In dieser Weise unter Tränen betend,
kam er auf andere Gedanken: Was geschieht, wenn sie kommt und kein Schiff
da ist; wie überschreitet sie den Jordan und kommt zu mir, Unwürdigem?
O weh über meine Unwürdigkeit! Weh mir, wer hat verursacht,
daß ich eines solchen Gutes entbehre? Indem er so dachte, kam die
Ehrwürdige und stand auf der anderen Seite des Flusses. Zosimas stand
auf, sich freuend und Gott preisend und noch in Gedanken zweifelnd, ob
sie über den Jordan kommen könne. Da sah er, wie sie das Kreuzeszeichen
über den Jordan machte (die ganze Nacht war Mondschein) und - sich
immer bekreuzend - auf das Wasser trat und über dasselbe zu ihm dahinschritt.
Er wollte sich vor ihr verbeugen, sie aber verbot es ihm indem sie, noch
über das Wasser gehend, sprach: Was tust du, Vater, du bist ja Priester
und trägst die göttlichen Geheimnisse! Er gehorchte; sie aber
trat ans Land und sprach zu ihm: Segne, Vater, segne! Er antwortete ihr
zitternd (denn er war sehr erschrocken über die wunderbare Erscheinung):
Fürwahr, Gott ist untrüglich, indem er verspricht, diejenigen
sich ähnlich zu machen, die sich selbst reinigen; Ehre sei dir, o
Christus unser Gott, der du mir durch diese deine Dienerin gezeigt hast,
wie weit ich von der Vollkommenheit entfernt bin! Da er dieses sagte,
bat sie ihn, das Glaubensbekenntnis und das Gebet des Herrn zu sagen und
nachdem die Gebete vollendet waren, empfing die Heilige die Mitteilung
der heiligen und göttlichen Geheimnisse Christi und küßte,
wie üblich, den Mönch. Dann, die Hände erhebend, seufzend
und weinend rief sie aus: Nun entlässest du deine Magd nach deinem
Worte in Frieden, o Gebieter, denn meine Augen haben dein Heil gesehen3!
Und sie sprach zu Zosimas: Verzeih, Vater Zosimas, und erfülle noch
meinen ferneren Wunsch: kehre heute noch in dein gottgeschütztes
Kloster zurück. Künftiges Jahr aber komme wieder zu dem Bache,
an dem wir uns zuerst sprachen. Komm um Gottes willen und du wirst mich
wieder sehen, weil Gott es so will. Er aber antwortete ihr: Ich wünschte,
wenn es möglich wäre, dir zu folgen und immer dein ehrwürdiges
Angesicht zu sehen; ich bitte dich aber eines zu erfüllen: Genieße
ein wenig von der Nahrung, die ich mitgebracht habe. Dies sagend zeigte
er ihr, was er in der Tasche mitgebracht hatte. Sie berührte die
Hülsenfrüchte mit den Fingerspitzen und nahm drei Körner,
welche sie in ihren Mund legte, und sagte: So ziemt es sich der geistlichen
Gnade, welche das Wesen der Seele unbefleckt bewahrt. Und wieder sprach
sie zu ihm: Bete zu Gott für mich, o mein Vater, bete, meiner Unseligkeit
gedenkend, er aber fiel ihr zu Füßen und bat sie, daß sie
zu Gott für die Kirche, die Könige und für ihn beten möge.
Nachdem er sie um dies unter Tränen gebeten hatte, ließ er seufzend
und schluchzend geschehe daß sie ging. Er durfte sie nicht länger
zurückhalten; wenn er gewollt hätte, sie hätte sich nicht
halten lassen. Und sie bekreuzte sich wieder, desgleichen auch den Jordan,
und schritt, wie vorher, über die Wasserfläche dahin. Zosimas
aber kehrte zurück, beherrscht von Furcht und Freude, bereuend und
sich Vorwürfe machend, daß er nicht nach dem Namen der Ehrwürdigen
gefragt hatte. Dennoch hoffte er denselben künftiges Jahr zu erfahren.
Nachdem ein Jahr dahingegangen war, ging Zosimas wieder in die Wüste,
erfüllte alles, wie vorgeschrieben und harrte der wunderbaren Erscheinung.
Nachdem er die Wüste durchschritten hatte, erblickte er einige Kennzeichen,
welche die gesuchte Stelle erkennen ließen und sah sich rechts und
links um, und suchte überall mit den Augen, wie ein geschickter Jäger
nach der Jagdbeute ausblickt. Nirgend aber etwas, das sich bewegte, sehend,
begann er zu weinen, richtete die Augen nach oben, betete zu Gott und
sprach: Zeige mir, Gott, deinen wunderbaren unentwendbaren Schatz, den
du in dieser Wüste verborgen hast. Zeige mir, ich flehe zu dir, den
Engel im Fleische, dem man die ganze Welt nicht vergleichen kann. So betend
kam er zu der Stelle, wo der Bach war und stellte sich an das Ufer und
sah gegen Osten die Ehrwürdige tot daliegen, die Hände, wie
sich gebührt, zusammengelegt, mit nach Morgen gerichtetem Gesicht.
Er nahte sich ihr und benetzte die seligen Füße mit seinen Tränen,
nicht wagend einen anderen Teil ihres Körpers zu berühren. Viel
weinend und die bei dieser Gelegenheit üblichen Psalmen hersagend,
vollzog er die Begräbnisgebete, sagte aber bei sich: Soll ich den
Körper der Ehrwürdigen begraben? Es möchte der Seligen
vielleicht nicht wohlgefällig sein. So denkend sah er neben ihrem
Haupte folgendes auf die Erde geschrieben: Begrabe, Vater Zosimas, an
dieser Stelle den Leib der demütigen Maria, gib zurück die Erde
der Erde, bete aber zu Gott, für mich, die dahingeschieden im ägyptischen
Monat Pharmuti, nach römischer Rechnung am 1. April, in der Nacht
des heilbringenden Leidens Christi, nach dem Empfang des göttlichen
geheimnisvollen Abendmahles.
Nachdem Zosimas diese Handschrift gelesen hatte, fragte er bei sich,
wer hat dies geschrieben? Denn sie hat selbst gesagt, daß sie nicht
schreiben könne. Aber er freute sich sehr, daß er den Namen
erfahren hatte. Er erkannte aber auch, daß, als er ihr die heiligen
göttlichen Sakramente am Jordan erteilte, dies in derselben Stund
geschah, wo sie starb. Und den Weg, den er in zwanzig Tagen mit Mühe
zurücklegte, den hatte Maria in einer einzigen Stunde durchwandert
und war gleich zu Gott dahingeschieden.
Gott preisend und die Erde und den Körper der Ehrwürdigen
mit Tränen benetzend sprach er bei sich: Es ist Zeit, das dir befohlene
zu vollziehen. Aber wie magst du, Unseliger, ein Grab zu graben, da du
nichts in deinen Händen hast?! Als er dies sagte, sah er nicht weit
davon ein kleines Stück Holz in der Wüste liegen, welches er
nahm und mit dem er zu graben begann. Die Erde aber war ausgetrocknet
und wollte nicht nachgeben dem sich Mühenden, welcher grub, mit Schweiß
bedeckt, aber keinen Erfolg hatte. Seufzend aus innerster Seele bemerkte
er einen großen Löwen, der vor dem Körper der ehrwürdigen
Maria stand und ihre Füße beleckte; er war von Angst erfüllt,
besonders, als er sich erinnerte, daß die Selige gesagt, sie habe
niemals Tiere gesehen: sich bekreuzend glaubte er, er werde unversehrt
bleiben durch die Kraft der Liegenden. Der Löwe begann aber sich
sachte dem Greise zu nähern und schmeichelte mit sanften Bewegungen,
als ob er küssen wollte. Da sagte Zosimas zu dem Löwen: O du
Tier, diese Große hat mir befohlen, ihren Leib zu begraben, aber
ich bin alt und kann das Grab nicht ausgraben und habe kein passendes
Werkzeug dazu. Und ich bin in solcher Entfernung vom Kloster, daß
ich nicht schnell zurückkommen und es herholen kann. Grabe daher
du mit deinen Tatzen das Grab aus, damit ich der Erde den Leib der Ehrwüdigen
übergebe.
Sofort grub der Löwe, diese Worte vernehmend, mit den vorderen
Tatzen eine Öffnung, die genügte, um die zu Bestattende zu bergen.
Wieder wusch der Greis die Füße der Ehrwürdigen mit seinen
Tränen und sie viel bittend, für alle zu beten, bedeckte er
mit Erde ihren Leib, der nackt und nur oben mit dem von Zosimas geschenkten
zerrissenen Kleide bedeckt war. Beide gingen fort. Der Löwe in das
Innere der Wüste, still wie ein Schaf, Zosimas aber kehrte zu den
Seinen zurück, segnend und lobend Christum unsern Gott.
Nachdem er zum Kloster gekommen, erzählte er allen Mönchen
von der ehrwürdigen Maria, nichts verhehlend von dem, was er gesehen
und von ihr gehört, so daß alle Hörenden die großen
Taten Gottes hoch priesen und mit Furcht, Glaube und Liebe ihr Gedächtnis
begingen und den Tag des Hinscheidens der Ehrwürdigen Maria verherrlichten.
Der Igumenos Johannes aber fand einiges, was nach dem Worte der Ehrwürdigen
zu verbessern war, und besserte dies mit Hilfe Gottes.
Zosimas erreichte ein gottwohlgefälliges Leben, nahe an 100 Jahre, und er endete dieses
zeitliche Leben in dem Kloster und schied hinüber in das Ewige zum Herrn.
Und die Mönche dieses Klosters hinterließen dies ungeschrieben,
sondern mündlich zu allgemeinem Nutzen allen Hörenden. Jetzt
habe ich, spricht der heilige Sophronios, das ungeschrieben Empfangene
der Schrift übergeben. Ob einige andere das Leben der Ehrwürdigen
geschrieben, mehr in dasselbe eingeweiht, das ist nicht zu meiner Kenntnis
gelangt. Ich aber habe, wie ich nach Maßgabe meiner Kräfte konnte,
geschrieben, nichts weiter verfolgend, als die Wahrheit der Erzählung.
Gott, der hochherrliche Wunder tut und mit großen Gaben belohnt die,
welche gläubig zu ihm kommen, möge geben den Lohn, Nutzen zu
gewinnen aus dieser Geschichte, denen, die sie lesen und hören und
sich bemühen, diese Erzählung niederzuschreiben und möge
dieselben würdigen des guten Teils dieser seligen Maria mit allen,
die in Gottesfurcht und guten Werken ihm wohlgefallen haben von Ewigkeit.
Mögen auch wir Ruhm geben Gott, dem ewigen König, damit er auch uns würdige, Gnade
zu finden am Tage des Gerichtes vor Jesu unserm Herrn,
DEM DA GEBÜHRET ALLE HERRLICHKEIT UND MACHT UND ANBETUNG,
SAMT DEM VATER UND DEM ALLHEILIGEN LEBENDIGMACHENDEN GEISTE,
JETZT UND IMMERDAR UND IN DIE EWIGKEIT DER EWIGKEITEN,
AMEN
[1] Vgl. Dent 8,3.
[2] Vgl. Hi 24,7-8.
[3] Lk 2,29-30.
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Taufe, Weihe der Wohnungen, Hochzeits- und Beerdigungsdienste
nach Anmeldung
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Gottesdienste finden im Schlatterhaus statt
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